Wolfgang Jantzen
Ab Anfang der 70er Jahre hat sich auf dem Gebiet der Behindertenpädagogik innerhalb der Denktraditionen des Marxismus eine Auffassung von Erziehung und Bildung aller Menschen entwickelt, die nicht nur einen paradigmatischen Bruch mit der bisherigen Fachgeschichte vollzieht, sondern auch grundlegende Impulse für die Erziehungswissenschaft als Ganzes zu formulieren mag. Natürlich ist ein solcher Bruch nicht voraussetzungslos, er findet unter historischen Umständen und in spezifischen sozialen Feldern statt (vgl. hierzu auch Jantzen 1997, 1998). Zu nennen ist der gesellschaftliche Aufbruch Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre. Hierzu gehören sowohl die durch den Regierungswechsel in Spiel kommenden veränderten Impulse (Bildungs- und Sozialpolitik, grundlegende Neudimensionierung der deutschen Innen- und Außenpolitik zwischen Berufsverboten einerseits und veränderter Ostpolitik andererseits u.a.m.) als auch die Impulse durch die Studentenbewegung. Beiden Prozessen ist die Entwicklung einer demokratischen Zivilgesellschaft zu danken, wie sie vorher in Deutschland nicht existierte. Allerdings war die Studentenbewegung mehr, als anläßlich des Beginns der rot-grünen Regierung, insbesondere auf die Biografien von Fischer und Trittin bezogen, diskutiert wurde. Neben dem schwarzen existierte der nicht minder einflußreiche rote Flügel. Sozialistisches Denken links von der Sozialdemokratie fand - obgleich durch Berufsverbote bekämpft - wieder seinen in der Öffentlichkeit wahrnehmbaren Ort in Deutschland. Dies schuf den Hintergrund für die Rezeption bis dato aus dem wissenschaftlichen und sozialen Alltag der BRD verdrängter Denkweisen: Exemplarisch hierfür nenne ich das gesamte Spektrum des Marxismus, aber auch gesellschaftskritische Positionen der Psychoanalyse.
An dieser Stelle entstand die „Materialistische Behindertenpädagogik“. In einem Positionspapier aus dem Jahre 1971 erklärten Probst und ich daß die Arbeit des Instituts für Sonderpädagogik an der Philipps-Universität in Marburg[1], „nur durch kritische Auseinandersetzung mit marxistischer Theorie theoretisches und politisches Niveau erreichen“ könne (Jantzen und Probst 1971).
Und schon damals stand eine konsequente Subjektorientierung im Mittelpunkt unseres Denkens. Ich zitiere aus einem ebenfalls bisher unveröffentlichten Vortrag zu „Geistige Behinderung und Gesellschaft“ aus dem Jahre 1973 (Jantzen 1973 a):
„Was es aber bedeutet, Behinderter in einer Gesellschaft zu sein, die Behinderung in solch negativer Weise akzentuiert, oder was es in dieser Gesellschaft bedeutet, ein behindertes Kind zu haben, diese Fragen sind weitgehend offen. [...] Nur eine Herausnahme der Betrachtung von Behinderung als naturgegebenes Schicksal in die Dimension der gesellschaftlichen Beschränkungen und Möglichkeiten ermöglicht es letztlich, dem Behinderten nicht nur als Kranken, als Stigmatisierten, als Gegenstand, sondern als Mensch mit all seinen Möglichkeiten und Grenzen, Vorteilen und Fehlern gegenüberzutreten.“
Neben die kritische Auseinandersetzung mit marxistischer Theorie, neben die konsequente Subjektorientierung, verbunden mit der Forderung nach Aufhebung der Naturalisierung und Verdinglichung von Behinderung trat damals bereits ein drittes Element: Unser Unternehmen konnte nur gelingen, wenn wir uns des Gesamts der humanwissenschaftlichen Diskussion versicherten, um Behinderung neu zu denken.
So finde ich in meinen Unterlagen in ebenfalls noch unveröffentlichte Thesen anläßlich der Bewerbung auf eine Professur „Heilpädagogische Psychologie der Erziehungsschwierigen“ an der Universität Köln (Jantzen 1973 b) die Bemerkung, daß diese Psychologie nur dann die Gefahren von Verdinglichung und Wertabstinenz überwinden kann: „indem sie an gemeinsamen Projekten pathogene Sozialisation zusammen mit anderen Gesellschafts- und Sozialwissenschaften in den Wirklichkeitsbedingungen ihrer Subjekte untersucht (innerhalb der Relationen Organismus-Umwelt, Subjekt-Objekt, Individuum-Gesellschaft) und interdependente Modelle auf der Grundlage der Dialektik von Biologischem und Sozialem entwickelt.“
All diese Passagen verweisen bereits höchst deutlich auf die Natur des notwendigen Bruchs, der theoretisch jedoch erst einige Jahre später gelang. Erst dann gelang es, ein neues „Ideal der Naturordnung“ zu bestimmen, welches nach Toulmin (1981), der Kern eines Paradigmenwechsels ist. Denn um einen solchen handelt es sich. Und er hat weitreichende Folgen für das gesamte erziehungswissenschaftliche Denken.
Paradigmenwechsel sind soziale Prozesse, innerhalb derer kollektive Gedankensysteme und damit „Denkstile“, die sich um einen „Gegenstand“ bewegen (Fleck 1980), in Frage gestellt werden. In der Regel steht am Ende der Auseinandersetzung eine Gegenstandsbestimmung höherer Abstraktion und größerer Erklärungsstärke. Die Entwicklung von Wissenschaft beinhaltet zwangsläufig die Entwicklung ihrer Denkstile. Kommt es zu einem Bruch dieser Denkstile (wissenschaftliche Revolution), so obsiegt das neue Paradigma keineswegs sofort (Kuhn 1967).
Dies hat verschiedene Gründe. Zum einen ist ein Paradigma anfangs nicht so differenziert ausgearbeitet und begründet wie später, wenn es bereits die Denkgewohnheiten einer Wissenschaftsgemeinschaft prägt. Zum anderen gibt es viele verdeckte Voraussetzungen wissenschaftlichen Handelns, die alles andere als rationaler Natur sind. Auch wenn Wissenschaft ein soziales Feld ist, innerhalb dessen bestimmte Regeln der Beweisführung gelten, mit denen man den Gegner außer Kraft setzen kann (Bourdieu 1998), so ist die Übereinstimmung über diese Regeln um so weniger gegeben, je weiter man sich von den modernen Naturwissenschaften entfernt. Und immer sind diese Regeln in gesellschaftliche Wert- und Handlungssysteme sowie habituelle Voraussetzungen eingebettet, die ihrerseits nur durch Reflexion aufzuspüren sind. Ein neues Paradigma in den Sozial-, Geistes-, und Humanwissenschaften zu etablieren, verlangt nicht nur Übereinstimmung über die Gegenstände sondern auch über die Regeln des Denkens erzielen zu können und verlangt zudem in einer gesellschaftlichen Praxis, die in der Regel gesellschaftliche Prozesse auf Natur zurückführt (vgl. Karl Marx MEW 23, S. 85 ff. zum Fetischcharakter der Ware), das Durchdringen dieses Scheins sowohl in der wissenschaftlichen als auch in der pädagogischen und therapeutischen Praxis (ganz zu schweigen von Sozial- und Bildungspolitik). Denn gerade letztere – als scheinbar theoriefreie Zonen – sind voll von stabilen Alltagstheorien und fixierten Menschenbildern, die im Prozeß der Praxis ständig hervorgebracht werden. Insofern verwundert es nicht, daß die Dimensionen des von uns 1975 vollzogenen Paradigmenwechsels weitaus weiter reichen, als sie in der heutigen pädagogischen und erziehungswissenschaftlichen Praxis wahrgenommen werden.
Zum einen reichen die Implikationen in alle Humanwissenschaften hinein und verbinden sich inter- und transdisziplinär mit den dortigen Diskussionen: Dies ist zu erwarten bei der Begründung von Behindertenpädagogik als synthetischer Humanwissenschaft.
Zum anderen ist mit Notwendigkeit ein anderer Denkstil verlangt, der innerhalb von Soziologie, Wissenschaftstheorie, Philosophie, aber auch den modernen Naturwissenschaften teilweise schon deutlicher ausgeprägt ist als in der Pädagogik: Verlangt ist ein durchgängig relationales, historisches und dialektisches Denken. Insofern ist die wechselseitige Konstruktion von wissenschaftlichem Gegenstand und Konstrukteuren (vgl. Stengers 1997) nicht nur noch im Fluß, sie ist dies in einem Feld, in dem verschiedene Paradigmen weit geringerer Abstraktheit gleichzeitig noch am Werke sind, so als ob das Aristotelische, das Galileische, das Newtonsche und das Einsteinsche Weltbild nebeneinander existierten.
Und schließlich ist gerade die Behindertenpädagogik das letzte Fach, innerhalb derer ein Paradigmawechsel erwartet wird, der für die Humanwissenschaften insgesamt von Bedeutung ist. Denn genau so wie Behinderung gesellschaftlich am Rande steht bis hin in die (mit Foucault „rassistischen“) naturalisierenden Denkformen der Professionellen in diesem Bereich, genau so steht die Tätigkeit der dort arbeitenden Professionellen am gesellschaftlichen Rand.
Dies gilt auch für die Situation des Faches Behindertenpädagogik in der Erziehungswissenschaft, ganz einfach zu überprüfen an dem Auftauchen von Stichwörtern zu diesem Bereich in erziehungswissenschaftlichen Handbüchern. Die gesellschaftliche Vermitteltheit von Wert und Unwert, die sich in solchen Urteilen ausdrückt, macht auch vor kritischer Erziehungswissenschaft nicht gänzlich halt. In dem von Bernhard und Rothermel herausgegebenen „Handbuch kritische Pädagogik“, zu dem ich einem Beitrag zu Behindertenpädagogik beisteuern konnte (Jantzen 1997), tauchen „Integrationspädagogik“ und „Behindertenpädagogik“ nur in meinem eigenen Beitrag auf. Als ob es dies Problem ansonsten für die Erziehungswissenschaft nicht gebe.
Manchmal blickt man noch tiefer hinter die Kulissen, oder sieht, psychoanalytisch ausgedrückt, die „Wiederkehr des Verdrängten“. So berichtet Hahn (1995, S. 274) von einem Empfang der neuberufenen Professorinnen und Professoren in Berlin beim Senator für Wissenschaft und Forschung: „Als in der Vorstellungsrunde auch eine Professur für „Geistigbehindertenpädagogik“ auftaucht, bricht ein Teil der Hochschullehrer/innen in schallendes Gelächter aus: Geistige Behinderung und Universität – das kann doch nicht wahr sein. Der Heiterkeitsausbruch ist auf einen Überraschungseffekte zurückzuführen, der gute Witze auszeichnet: Etwas Unerwartetes-Absurdes wird plötzlich wahrgenommen.“
Und gerade hier setzt der Paradigmawechsel an: Unerziehbarkeit, Unverständlichkeit, Bildungsunfähigkeit sind ebenso soziale Konstruktionen wie die sogenannte bloße Natur schwerstbehinderter Menschen (und damit aller behinderten Menschen).
Verpflichtet ist diese Denkweise dem von Marx bemühten kategorischen Imperativ „alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist“ (MEW Bd. 1, S. 385) sowie der Passage im Manifest der Kommunistischen Partei, daß „die freie Entwicklung eines jeden, die Bedingung der freien Entwicklung aller ist“. (MEW Bd. 4, S. 482).
Dem Aufsatz, der das neue Paradigma begründet (Jantzen 1976a [2]; vgl. auch Feuser 2000) – einmündend in die Traditionen von Vygotskijs „psychologischem Materialismus“, der uns damals allerdings nicht bekannt war – ist ein Zitat des marxistischen Philosophen Lucien Sève vorangestellt: „Sind die großen Menschen, Ausnahmen einer Epoche insofern, als die gewaltige Mehrheit der übrigen Menschen durch die gesellschaftlichen Bedingungen verkrüppelt wird, nicht in gewissem Sinn die normalen Menschen dieser Epoche und ist der Regelfall der Verkrüppelung nicht gerade die Ausnahme, die Erklärung verlangt?“ (Sève 1973, S. 203).
Der genannte Aufsatz (Jantzen, a.a.O..) arbeitet zur Erklärung dieser Ausnahme auf der Basis von anthropologischen Überlegungen, insbesondere in den Traditionen der „kulturhistorischen Theorie“ bzw. „Tätigkeitstheorie“ (Vygotskij, Lurija, Leont’ev) sowie unter Bezug auf Holzkamps „Sinnliche Erkenntnis...“ (1973) heraus, daß der Kern jeglicher Form von Behinderung Isolation vom gesellschaftlichen Erbe ist. Dies führt im Prozeß der veränderten Aneignung zu anderen Formen der höheren Nerventätigkeit, entsprechend den von Leont’ev und Lurija aufgezeigten Dimensionen der Herausbildung funktioneller Organe des Großhirns in der Individualentwicklung. Diese Überlegung wird belegt durch Forschungen zur sensorischen Deprivation und zu Hospitalismus und in Anschluß an die empirische und experimentell begründete Isolationstheorie von Haggard verallgemeinert.
Verknüpft mit der sozialen Realität, Arbeitskraft minderer Güte auszudrücken (vgl. Jantzen 1976 b) war damit die Doppelform (Marx) von Behinderung bestimmt: Auf der Ebene konkreter Arbeit das Resultat von Isolation zu sein, auf der Ebene abstrakter Arbeit das Resultat der gesellschaftlichen Wertverteilung der Arbeitskraft.
Diese Definition hatte den Vorteil, daß sie gänzlich relational war, wie ihr Vergleich mit modernen Theorien der Selbstorganisation zeigt. Philosophisch betrachtet entwickelte sie das Problem der Behinderung als Problem der Selbstentwicklung von behinderten Menschen causa sui, aus eigener Ursache (so könnte dies mit Spinoza ausgedrückt werden). Die sich daraus ergebende Folgerung war, daß das Handeln behinderter Menschen unter allen Umständen in sich hoch zweckmäßig ist, d.h. die subjektlogische Konsequenz aus der erfahrenen sozialen und kulturellen Isolation. Ebenso wie der Verslust des Sehvermögens oder des Hörvermögens setzen körperliche Behinderungen oder Schäden des ZNS den behinderten Menschen in ein (jeweils) anderes Verhältnis zu den Menschen und zur Welt, aus dem (ceteris paribus) ihre soziale und kulturelle Isolation resultiert sowie deren Reproduktion in den Prozessen der Entwicklung des Psychischen (vgl. auch Feuser 1979 bezogen auf „Autismus“)[3]. Sehr viel später, nachdem die zweibändige Werkausgabe von Vygotskij auf Deutsch vorlag (Wygotski 1985, 1987) und nachdem die Kategorie des biologischen, individuellen und persönlichen Sinns in Anschluß an Leont’ev erarbeitet war (vgl. Jantzen 1986 a, b), wurde der Begriff „zweckmäßig“ durch das Kategorienpaar „sinnvoll“ und „systemhaft“ ersetzt.
Wir hatten mit diesem Paradigmawechsel uns theoretisch und praktisch eine große Beweislast auferlegt. Um unsere Beweise zu führen, bedurfte es methodologischer Überlegungen, für die der dialektische und historische Materialismus zwar eine gute Voraussetzung boten, die wir aber in vielerlei Hinsicht selbst zu realisieren hatten, bevor uns methodologische Bemerkungen von Leont’ev und Vygotskijs zentrale methodologische Schriften auf diesem Weg bestätigten. Vygotskij, auf der Suche nach den methodologischen Voraussetzungen, damit das „Kapital der Psychologie“ geschrieben werden könne, spricht in seinem großen, erst 1982 auf Russisch[4], 1985 auf Deutsch und 1997 auf Englisch vorliegenden Buchmanuskript „Die Krise der Psychologie in ihrer historischen Bedeutung“ exakt die uns beschäftigende Problematik der Herausbildung einer „synthetischen Humanwissenschaft“ als interdisziplinären Prozeß an (Vygotskij 1985a).[5]
Psychologie als „allgemeine Wissenschaft“, als allgemeine Philosophie bzw. Theorie des Faches muß in analytisch-induktiver Methodologie, dem Vorgehen der Naturwissenschaften verpflichtet erarbeitet werden. Wie jede Wissenschaft hat dabei auch die Psychologie vom Beschreibungs- zum Erklärungswissen voranzuschreiten. Dies bedeutet, sowohl mangelhafte als auch unangemessene begriffliche Verallgemeinerungen erkennen und überwinden zu können, indem das bisherige Beschreibungs- und Erklärungswissen zum Gegenstand der Forschung gemacht werden. Dabei geht es um eine Justierung der Begriffe sowohl in vertikaler Richtung (entsprechend der Dimension ihrer Abstraktheit) als auch in horizontaler Hinsicht (Breite des Begriffs im Verhältnis zu anderen Begriffen gleicher Abstraktheit[6]). Jede Wissenschaft benötigt, ausgehend von ihrem Induktionsbereich, eine Klärung ihrer zentralen Kategorien. Die Analyse ist hierbei der Induktion wesensverwandt, ist deren Negation (im Hegelschen Sinn), insofern sie im Begriff die induktive Vielheit aufhebt, aber durch den analytischen Begriff zugleich der Vielheit eine Zelle des Begreifens, eine sinnvolle Abstraktion gibt, ihren Inhalt aufbewahrt.
Gefahren in diesem Prozeß der Herausbildung eines Systems vermittelter Begriffe sind der Eklektizismus, der Empirismus und eine ungenaue Sprache. Grundproblem der Psychologie ist es jedoch, daß im Gewande einer Psychologie zwei weltanschaulich unvereinbare Positionen einander gegenüberstehen: eine geisteswissenschaftliche und eine naturwissenschaftliche Psychologie. Die monistische Überwindung dieses Bereichs ist weder durch den dialektischen Materialismus allgemein zu leisten, noch durch Ableitung aus dem historischen Materialismus realisierbar. Vielmehr bedarf es, auf der gleichen Ebene wie der historische Materialismus und unterhalb der Abstraktionsebene des dialektischen Materialismus, eines eigenständigen psychologischen Materialismus, genauso, wie es eines biologischen oder soziologischen Materialismus bedarf.
Dies bedeutet aber für die Klassifikation der Wissenschaften und die Frage der Interdisziplinarität eine Reihe weiterer Fragen zu lösen, mit denen auch wir im Verlauf unserer Arbeit konfrontiert wurden. Vor allen anderen ist dies die Frage nach der elementaren Einheit psychischer Prozesse, so Vygotskij (vgl. Jantzen 2001a). Der Übergang der kulturhistorischen Theorie zur Erforschung der inneren Zusammenhänge der psychischen Systeme[7] und des inneren Wandels dieser Zusammenhänge in der historisch und kulturell bestimmten Entwicklung des Psychischen (das seinerseits als Prozeß der Selbstorganisation gedacht wird), macht es unmöglich, die Trennung der höheren gesellschaftlichen und niederen natürlichen Funktionen des Psychischen aufrechtzuerhalten, wie dies Vygotskij (1996) in der Kritik an zeitgenössischen Emotionspsychologie und Neuropsychologie aufzeigt. Statt dessen wird im späteren Werk von dem Entwicklungsgegensatz von rudimentärer und höherer Form psychischer Prozesse ausgegangen: die unter bestimmten Bedingungen „wie durch Selbstzündung“ entstehende rudimentäre Form schafft eine veränderte soziale Entwicklungssituation, innerhalb der die höhere, kulturelle Form eine spezifische Wirksamkeit entwickeln kann, sofern sie im Erleben des Kindes in seiner „Zone der nächsten Entwicklung“ zugänglich wird (vgl. Jantzen 2001 a, b).
Wie ist dann aber die Vermittlung von Psychischen in Natur und von Natur in Psychisches zu denken? Und wie ist in vertiefter Weise die Vermittlung von Psychischem in Soziales und von Sozialem in Psychisches zu denken, ohne dabei irgendwelchen erkenntnistheoretisch und einzelwissenschaftlich nicht mehr haltbaren Formen eines direkten Realismus zum Opfer zu fallen? Als allgemeine Formel thematisiert Leont’ev dieses Problem der Übergänge (1989 Kap. 6) so, daß im Verhältnis von Biotischem, Psychischem und Sozialem, die je höhere Ebene der Existenz des ganzheitlichen Menschen von der je niederen in ihrer Existenz abhängt, jedoch ihrerseits auf die je niedere zurückwirkt und dies in einem Prozeß spiralförmiger Entwicklung, indem im Verlauf der Ontogenese, der Einfluß der höheren Ebenen auf die niederen zunimmt.
Es ist hier nicht der Ort, alle diese methodologischen Implikationen und Voraussetzungen einer synthetischen Humanwissenschaft auszudiskutieren. Dennoch mußte auf sie als Voraussetzung des Unternehmens, die Naturalisierung und Verdinglichung von Behinderung begrifflich und praktisch aufzuheben, hier eingegangen werden. Im folgenden werde ich die wichtigsten inhaltlichen Resultate der Entwicklung der Behindertenpädagogik als synthetischer Humanwissenschaft rekonstruieren, um dann zur Neubestimmung pädagogischer Prozesse in Theorie und Praxis überzugehen, also zur Einführung des neuen Paradigmas in der Erziehungs- und erziehungswissenschaftlichen Wirklichkeit (Allgemein Theorie des Faches im Sinne basaler und allgemeiner Pädagogik).
Die gravierenden Fehleinschätzungen, welche die pädagogischen Disziplinen immer wieder zum Thema der Behinderung getroffen hatten, zwang dazu, der Problematik des Erziehungs- und Bildungsprozesses vom Standpunkt der prinzipiellen Lern- und Entwicklungsfähigkeit behinderter Menschen eine neue Basis zu geben. Dabei stand zunächst im Vordergrund die innere Struktur jener Prozesse zu verstehen, welche unter bestimmten Bedingungen zur innen Reproduktion der (durch den Defekt gesetzten) Isolation führten. Wie war der Zusammenhang der psychischen Prozesse hierbei zu denken? Den scheinbar bequemeren Weg, hier auf die psychoanalytische Theorie zurückzugreifen, gingen wir nicht, u.a. auch da sie keine Theorie der höheren Hirnfunktionen zu bieten hatte[8]. Diese – und zudem marxistischer Provenienz – hatte uns jedoch die Theorie von Vygotskij, Lurija und Leont’ev in der Form bereits geliefert, daß wir die Genesis geistiger Behinderung als Prozeß veränderter funktioneller Organbildung denken konnten – wiewohl zunächst auch hierbei große Bereiche noch unbearbeitet waren und blieben[9].
Die weitere, langjährige Beschäftigung mit dieser Theorie ergab, daß sie wie keine andere geeignet war den inneren, systemhaften Zusammenhang psychischer Prozesse zu denken. Wie hängen Bedürfnis und Motiv, Affekt, Emotion und Gefühle, Wille und Aufmerksamkeit, Gedächtnis, Sprache und Denken, Bewußtsein und Persönlichkeit usw. untereinander zusammen? Wesentlich war es hierbei, den psychischen Raum zugleich zeitlich zu denken, als System permanenter Übergänge zwischen (fließender) Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft. D.h. verschiedene Prozesse des Psychischen sind in diesem Raumzeitgefüge des erkennenden und fühlenden Subjekts an unterschiedlichen Stellen wirksam. Einige dieser Zusammenhänge möchte ich anhand von Leont’evs Tätigkeitstheorie verdeutlichen (vgl. Jantzen 1987 Kap. 4, Jantzen 1994; Leont’ev 1979, 1982, 1998).
Kern der psychischen Entwicklung sind emotionale Prozesse, auf deren Basis es zur Verknüpfung von Bedürfnissen, die aus den körperlichen Bedarfszuständen des Subjekts (denen des Körpers ebenso wie denen des Gehirns) resultieren, mit möglichen Objekten der Bedürfnisbefriedigung kommt. Die bedürfnisgeleitete Aktivität realisiert sich an der Grenze von Vergangenheit und fließender Gegenwart auf der Basis emotionaler Bewertung in Form der Orientierungsaktivität bzw. als Suchaktivität nach einer dem Subjekt angemessenen Lösung. In dieser Hinsicht zielt sie auf einen Raum möglicher Zukunft, zu dessen Gestaltung die Suchaktivität (in der Gegenwart) in der Regel auf die eigene, wiedererinnerte Vergangenheit zurückgreift. Diesen Prozeß modelliert Leont’ev mit dem Begriff Tätigkeit.
Tätigkeit ist jene Seite der Aktivität, in der ein Objekt unter dem Aspekt der Bedürfnisbefriedigung für das Individuum wahrgenommen wird. Der potentiell ein Bedürfnis realisierende Gegenstand (genauer genommen, seine psychische Repräsentation) steht im Prozeß der Beurteilung für jene Handlungsalternative, welche für die Zukunft den größten emotionalen Gewinn (bzw. den geringsten emotionalen Verlust) verspricht. Insofern wird der Gegenstand (in Form der möglichen Bedürfnisbefriedigung) zum eigentlichen Motiv der Tätigkeit. Das Motiv ist, so habe ich dies formuliert, in dieser Hinsicht ein Sinnerfüllungsversprechen. Versprechen ist Versprechen (Möglichkeit!) und Wirklichkeit ist Wirklichkeit. Daher ist die bedürfnisrelevante Aktivität (Tätigkeit) zwingend auf eine zu gleicher Zeit objektbezogene Aktivität verwiesen, die sich an den realen Beschaffenheiten des Objekts, also den objektiven Voraussetzungen seiner Umwandlung entsprechend den Bedürfnissen des Subjekts (Ziel und Zweck) orientiert.. Diese Seite der Aktivität nennt Leont’ev Handlung.
Die Handlung transformiert den Inhalt des Sinnerfüllungsversprechens (Motiv), unter Nutzung der psychophysiologischen Organisiertheit des Körpers in die natürliche und gesellschaftliche Wirklichkeit. Hier erweist es sich im Prozeß der Praxis (bzw. der äußeren Tätigkeit, die wir als Verhalten wahrnehmen), ob sich das vorweggenommene Resultat realisiert oder nicht. Dabei greift das Individuum auf bereits konsolidierte und automatisierte Erfahrungen aus vorweggegangenen Handlungen zurück. Sie entsprechen bisher vorgefundenen gesellschaftlichen (kulturellen) Bedeutungen insofern als die bisherigen Handlungen des Individuums hierauf bezogen sich bisher als mehr oder weniger sinnvoll erwiesen haben. Insofern sind diese automatisierten Handlungsaspekte „auskristallisierte“ Bedeutungen für das Subjekt, Orte in seinem logischen Raum. Bezogen auf die objektiven Eigenschaften der Gegenstände sind die Handlungen geistige und körperliche Bewegungsmuster des Individuums, die als solche das Verhältnis zur Wirklichkeit in sich tragen. Ihre durch Erfolg und Wiederholung automatisierte Variante bezeichnet Leont’ev als Operation. Dem intrasubjektiven Aufbau geistiger Operationen liegen somit mit Notwendigkeit intersubjektive materielle und sprachliche Operationen zugrunde. Eine Aufgabe wird zunächst gemeinsam, in Kooperation mit anderen gelöst, um dann alleine gelöst werden zu können. Dies beschreibt die von Leont’evs KollegInnen Galperin, Talysina bzw. Davydov entwickelte Lerntheorie, welche sich als eine Weiterentwicklung von Vygotskijs Konzept der „Zone der nächsten Entwicklung“ (ZdnE) versteht (vgl. Ferrari und Kurpier 2001, Davydov 1988; Jantzen 2000). Die ZdnE kennzeichnet jenen Bereich, der allein nicht, jedoch mit Hilfe anderer (über verschiedene Formen der Orientierung und Imitation in unterschiedlicher Qualität) durchschritten werden kann. Von besonderer Bedeutung ist hierbei auch eine veränderte Aufarbeitung der internen Logik der Unterrichtsgegenstände, auf die ich hier jedoch nicht näher eingehe (vgl. Jantzen 2000).
Die Rezeption dieser Theorie in der allgemeinen Erziehungswissenschaft verkannt bisher in der Regel den motivationalen Zusammenhang, welcher in dieser Herangehensweise Orientierungshandlung und Ausführungshandlung zwingend vorausgesetzt ist. Aber auch bei dessen Berücksichtigung sind zwei weitere entwicklungspsychologische Schritte notwendig, um den Prozeß von Lernen und Entwicklung im Detail zu verstehen. Und erst auf dieser Basis können wir wissenschaftlich über eine Pädagogik für alle, eine basale und allgemeine Pädagogik reflektieren, welche kein Kind vom Bildungsprozeß ausschließt.
Diese beiden Dimensionen sind der Prozeß der Entwicklung und der Prozeß der Sinnbildung auf verschiedenen Niveaus des Psychischen und Bewußtseins in der Ontogenese.
Pädagogisches Handeln bedarf einer Reflexion auf das Entwicklungsniveau. Dies zeigt insbesondere jeder Versuch des gemeinsamen Unterrichts behinderter und nicht behinderter Kinder, zeigt doch die Anwendung des Piagetschen Forschungsansatzes auf lern- und geistig behinderter Kinder, daß diese zunächst die gleichen Niveaus wie nichtbehinderte Kinder, jedoch erheblich verspätet durchlaufen (vgl. Inhelder 1968). Und spätere Forschungen zeigten, da
ß spätestens ab Vorschulniveau es bereichsabhängig (domain specific) deutliche Unterschiede in verschiedenen inhaltlichen Dimensionen gibt, je nach bisherigem Lern- und Erfahrungsprozeß. Im Alltag bewegen wir uns meist auf dem Niveau des präoperational-anschaulischen Denkens; die höheren Niveaus (im Sinne Piagets z.B. konkret-operative bzw. formallogische Intelligenz) realisieren wir nur situationsspezifisch entsprechend der jeweiligen Aufgabe und unserer Handlungskompetenz in diesem Bereich. Bildung mußte dementsprechend entwicklungspsychologisch als Prozeß der Bewegung auf höheres Niveau und auf höherem Niveau verstanden werden (Stegemann 1983).
Da aber, je nach zugrundegelegtem Menschenbild und Forschungsinteresse, sehr unterschiedliche Entwicklungspsychologien existieren, die jeweils verschiedene Aspekte der psychischen Entwicklung vorrangig behandeln, bedurfte es einer vereinheitlichten Entwicklungstheorie von der die Entwicklungstheorie nach Piaget, Spitz, Leont’ev, Boshowitsch usw. jeweils einen Spezialfall darstellt. Eine derartige Theorie mußte auch deshalb entwickelt werden, da entsprechend unserer Annahme des sinnhaften und systemhaften Aufbaus der psychischen Prozesse, derartige Entwicklungsniveaus auch sog. pathologischer Entwicklung zugrunde liegen müssen: Sofern nämlich pathologische Prozesse individuelle Kompensationen in sozialen Situationen der Isolation sind, müssen sie ebenfalls unterschiedliche Bedingungen ihrer Entstehensmöglichkeit auf verschiedenen Niveaus aufweisen. Gleichzeitig mit einer vereinheitlichten Entwicklungspsychologie wurde eine allgemeine Theorie psychopathologischer Entwicklung ausgearbeitet, immer in enger Auseinandersetzung mit bisherigen Theorien und empirischen Befunden. So können wir z.B. bei schwerer geistiger Behinderung häufig auftretende autoaggressive Handlungen mindestens als Ausdruck von Kompetenzen des vierten sensomotorischen Niveaus im Sinne von Piaget auffassen, gezielte gegenständliche Aggressionen mindestens als Ausdruck des sechsten sensomotorischen Niveaus, während eine Borderline-Symptomatik oder gar ein schizophrener Prozeß höhere Niveaus der Organisation des Psychischen für ihren Einsatz als kompensatorische Leistungen voraussetzen (vgl. Jantzen 1987, Kap. 6). Dies ermöglicht es uns situationsbezogene Schwankungen im Verhalten in neuer Weise in ihrer Subjektlogik zu entschlüsseln.
Für den Erziehungs- und Bildungsprozeß verweisen die genanten theoretischen Überlegungen (vgl. Jantzen 1986, 1987), wie bereits bisherige, an Piaget angelehnte Didaktiken (vgl. Aebli 1970), auf das entwicklungslogische Niveaus (bzw. dessen pathologische und/oder bereichsabhängige Fluktuation) als zentrale Bezugsachse der Vermittlung von Kind, Gegenstand und Erzieher in der „Zone der nächsten Entwicklung“. An diesem Grundgedanken setzt die „entwicklungslogische Didaktik“ von Feuser (1989) an. Auf dem kritischen Konstruktivismus von Klafki aufbauend kann sie als die gegenwärtig am weitesten entwickelte didaktische Konzeption für eine integrative, allgemeine Pädagogik gelten, die weit über Deutschland hinaus unterdessen Beachtung gefunden hat[10]. Trotzdem bedarf sie der weiteren Entwicklung (vgl. Jantzen 2000). Hiervon jedoch später, denn das Konzept der Zone der nächsten Entwicklung, so zeigen unsere Überlegungen im Rahmen einer vereinheitlichten Entwicklungstheorie ebenso wie Feusers Rückgriff auf die Erziehungsphilosophie von Martin Buber, wäre gänzlich mißverstanden, würde sie nur als kognitiver Raum gefaßt. Sie ist immer ein sozialer, kooperativer Raum und beinhaltet als solcher affektive und kommunikative Aspekte. Ihre emotional-affektive Dimension wird jedoch nur dann sichtbar, wenn einige, oben bereits mit Leont’ev angesprochene Überlegungen vertieft werden. Mit welchen Kategorien ist ein derartiger intermediärer Raum zu denken, den jede Pädagogik zur Voraussetzung hat? Dies klärt sich bei vertiefter Behandlung der Kategorien Sinn, Dialog und Kommunikation.
Der Sinn fällt ebenso wie das Motiv zunächst mit der Emotion zusammen und löst sich ebenso von dieser erst durch den Prozeß des Austauschs mit der umgebenden Welt auf der Basis der Einwirkung auf diese. Vergleicht man diesen Aspekt mit dem Begriffsapparat der Psychoanalyse, so hat die Kategorie des Sinns deutliche Bezüge zur (libidinösen) Objektbesetzung. Sinn ist ein im Lebensprozeß entstehender Vermittlungsprozeß von emotionalen Wertungen mit Weltereignissen. Die Austauschverhältnisse mit Personen haben hierbei eine gänzliche andere Struktur und Bedeutung als die mit Sachen. Dies wird besonders deutlich, wenn wir hier hilfsweise den Standpunkt des Radikalen Konstruktivismus heranziehen. In sehr allgemeiner Form betrachtet ist das Psychische zum einen das Resultat eines Möglichkeitsraumes der jeweiligen Gattung (Hunde, Katzen, Menschen usw.), zum anderen aber das Resultat ontogenetischer Entwicklung. Innerhalb dieser konstruieren Lebewesen in sich Information aufgrund der Fluktuationen ihrer Peripherie (also ihres körperlichen Randes einschließlich der Peripherie ihrer Sinnesorgane). Sie verfolgen das Ziel, störende Fluktuationen wieder in vertraute überzuführen bzw. zu vermeiden.(vgl. Maturana und Varela 1987).
In seinen Schriften zum Ursprung des Dialogs hat Spitz (1988) hierauf schon zu Beginn der 70er Jahre aufmerksam gemacht: Vorstellungen über das Lebendige werden beim Neugeborenen auf Grund der reziproken Erwiderung des eigenen Handelns durch andere Personen aufgebaut. Da diese Bestätigung gleichzeitig zu stabilen, positiv emotionalen Zuständen führt, erfolgt die Genesis der Sinnbildung vorwiegend über den Austausch mit anderen Personen. Entsprechend erweist sich bei der Ermittlung von Grundkategorien einer basalen Pädagogik der Dialog als Grundeinheit. Er ist nichts anderes als die Sinnverschränkung durch Reziprozität, also durch wechselseitige Verstärkung stabiler, positiver emotionaler Zustände, die sich ethologisch betrachtet als Bindung oder psychoanalytisch betrachtet als Objektbesetzung äußert. Dabei kann sich die positive Besetzung von Personen auf die Objekte übertragen, durch die das Verhältnis zu den Personen vermittelt wird (vgl. Winnicotts Begriff des „Übergangsobjekts“: dies ist jenes Objekt, das in Abwesenheit einer vertrauten Person vor Angst sichert, z.B. der Teddy, die Schmusedecke u.a.m.). Auf höheren Niveaus können dies ideelle Objekte sein, die als Synthese entsprechender Erfahrungen entstehen, wie Heimat, Gott, Vaterland, Menschheit usw..
Verfolgt man eine weitere psychologische Argumentationskette, so hat Henri Wallon, der große wissenschaftliche Opponent von Piaget, bereits sehr früh zwei Arten der Intelligenz in der frühen Entwicklung unterschieden: mit Piaget die sensomotorische Intelligenz und über ihn hinaus die diskursive Intelligenz (vgl. Zazzo 1984). Letztere entwickelt sich über die Imitation des Anderen und schafft die wesentlichen Grundlagen für die höheren, symbolischen Formen der Entwicklung. Piaget (1984) hat der Hervorhebung dieser diskursiven Repräsentation bei Wallon in einer Arbeit kurz vor dessen Tod (1962) weitgehend zugestimmt: sie sei die systematische und dialektische Ergänzung des von ihm hervorgehobenen Aspekts der Entwicklung kognitiver Operationen als Basis der Intelligenz.
Wie ist das zu verstehen? Die moderne Entwicklungspsychologie zeigt, daß Räume von Sicherheit und Bindung eine wichtige Voraussetzung für den Aufbau kognitiver Strukturen sind. Die entstehende Repräsentation ist triangulärer Natur (vgl. Jantzen 2002), und zeigt sich erstmals in der geteilten Aufmerksamkeit ca. ab dem 8. Lebensmonat. Im Bewußtsein des Kindes trennen sich die Eigenschaften des eigenen Körpers von den Eigenschaften der Welt und die Eigenschaften anderer Menschen von den Eigenschaften unbelebter Dinge. Damit sind jedoch zwei Arten von Verhältnissen zur Welt möglich: Über Personen oder Sachen vermittelte und unmittelbar auf Sachen oder Personen bezogene. Was die andere Person bezogen auf die Sache tut, gewinnt dann Interesse, wenn eine Bindung zu dieser Person besteht, was ein Kind bezogen auf die Sache tut, gewinnt erhöhtes Interesse, wenn es von der anderen Person unterstützt wird. Die hier stattfindende Kooperation (und die Kommunikation als Hinweis auf das jeweilige Handeln) setzen also einen reziproken Raum von Sicherheit und Bindung voraus und transformieren ihn gleichzeitig auf höheres Niveau. Dies wird auch auf höheren, symbolischen, ich-zentrierten und später abstrakten Räumen der Repräsentation so bleiben. Insofern verlangt jeder Zusammenbruch eines Kooperations- oder Kommunikationsprozesses im Prinzip die jeweils erneute Absicherung eines dialogischen Austauschs. Und da Entwicklung notwendigerweise krisenhafte Übergänge durchläuft (vgl. Vygotskij 1987a) ist eine Konsolidierung auf von Bindung und Sicherheit auf jeweils neuen Niveaus in neuer Form erforderlich. Implizit haben dies in unterschiedlicher Form bereits verschiedene reformpädagogische Konzepte berücksichtigt. Besonders deutlichen Ausdruck hat ein derartiges Denken in Paolo Freires Pädagogik der Unterdrückten gefunden.
An derartigen Überlegungen ansetzend haben wir Konzepte basaler Pädagogik entwickelt, innerhalb derer den Grundkategorien des Erziehungs- und Bildungsprozesses eine fundiertere humanwissenschaftliche Basis gegeben wurde als bisher, so daß auch bei schwersten Formen der Behinderung noch Entwicklung, Dialog, Kommunikation und Lernen wahrnehmbar und unterstützbar sind (vgl. Jantzen 1990, Kap. 10, Feuser 1995, Rödler 2000, Rödler u.a. 2001). Dies geschah in den Feldern der Integration behinderter und von Behinderung bedrohter Kinder und Jugendlicher sowie im Bereich der Enthospitalisierung sehr schwer behinderter Menschen und wurde begleitet durch die theoretische Ausarbeitung von didaktischen Überlegungen ebenso wie grundlegende Überlegungen zu Diagnostik und Therapie, auf die ich im folgenden in Kürze eingehe.
Pädagogische Prozesse beziehen sich nicht unmittelbar auf das Kind (den Zögling), sondern auf einen intermediären Raum, der zu schaffen, zu erhalten und ggf. wiederherzustellen ist, dies ergibt sich aus der humanwissenschaftlichen Grundlegung von Erziehung und Bildung durch die materialistische Behindertenpädagogik. Ich erinnere, daß diese Sichtweise in Anbetracht des Zerfalls dieser Räume unter Bedingungen von Isolation und sozialem Ausschluß entwickelt wurde. Dies ist ein Aspekt, den die allgemeine Erziehungswissenschaft in einer im wesentlichen individuenzentrierten Weise weitgehend übersehen hat und übersieht.
Grundlegende Einheit von Erziehung und Bildung ist ein intermediärer Raum, der durch vergangenen und gegenwärtigen Dialog (wechselseitige Sinnverschränkungen, emotionale Bestätigungen) erst entsteht und aufrechterhalten wird. Dabei reicht es durchaus, in den psychischen Prozessen auf vergangenen Dialog zurückgreifen zu können, solange die gegenwärtige Situation, über Inhalte vermittelt und unter Aufrechterhaltung eines elementaren Bestandes an Anerkennungsformen, selbst nicht antidialogisch wird. Um es mit Buber auszudrücken: Die Präsenz von Ich-Es-Verhältnisse reicht solange aus, solange im Hintergrund wirksame Ich-Du-Verhältnisse nicht prinzipiell ausgeschlossen oder gefährdet sind.
Der genannte intermediäre Raum könnte dann in semiotischer Hinsicht, also unter Aspekt der Vermittlung sozialer Bedeutungen in Zeichensystemen als Semiosphäre gekennzeichnet werden (Lotman 1990 a, b). Eine Semiosphäre verfügt über eine bilinguale Übergangszone des Randes und über innere Eigentümlichkeiten und Hierarchien (Handlungsgrammatiken) und steht mit weiteren Semiosphären in horizontaler ebenso wie vertikaler (z.B. Familie, Milieu, soziales Feld, Sprachraum usw.) Hinsicht in Beziehung. Im weitesten Sinn sind Semiosphären unterschiedlichen Umfangs in die Semiosphäre der Menschheit eingebettet, die innerhalb der von den Menschen umgestalteten Biosphäre (also der „Noosphäre“; Vernadskij 1997) existiert. Sie steht zum sozialen Zeichengebrauch des einzelnen Menschen (und damit zum Aufbau seines Bewußtseins in der Aneignung und im Gebrauch sozialer Bedeutungen) in eben dem Verhältnis, in welchem die Biosphäre zum einzelnen Lebewesen steht. Andererseits verfügt jedes Individuum durch die Transformation gesellschaftlicher Bedeutungen in persönliche Bedeutungen über seine eigene Semiosphäre (also einen inneren, sinnabhängigen logischen Raum; vgl. Wittgenstein), innerhalb derer die sozial erworbenen Bedeutungen eine spezifische, von den Motiven und Interessen des Subjekts abhängige Färbung und Konstruktion annehmen[11].
Wir hätten demnach die Ebene des transaktionalen Austausches oder besser, der transaktionalen Konstruktionen als Basisebene des pädagogischen Prozesses zu betrachten und hier von Grunddimensionen wie Dialog, Kooperation, Kommunikation usw. sowie ihren wechselseitigen Verhältnissen auszugehen. Auf dieser Ebene haben wir wesentliche Neubestimmungen der Kategorien einer basalen Pädagogik geleistet (vgl. Jantzen 1990, Kap. 10; Feuser 1995, Rödler 2000, Rödler u.a. 2001).
Es zeigt sich nun, daß Vygotskijs „Zone der nächsten Entwicklung“, die er selbst exemplarisch nur unter spezifischen Aspekten der Kooperation im Unterrichtsprozeß darstellt (vgl. Vygotskij 1987a), der Spezialfall eines größeren Zusammenhangs ist. Nicht nur Kooperation und Kommunikation bezogen auf ein gemeinsames Drittes, den Unterrichtsgegenstand und seine Logik, so die Weiterentwicklung dieses Gedankens insbesondere durch Galperin, Talysina und Davydov, kennzeichnen die „Zone der nächsten Entwicklung“, sondern diese selbst sind abhängig vom „Erleben“ (perešivanje) des Kindes (Vygotskij 1994; Leont’ev 2001, S. 289 ff.). Erleben bedeutet in dieser Konzeption jedoch ebenso Erleben der Wirklichkeit wie emotionales Erleben. Insofern ist die „Zone der nächsten Entwicklung“ grundsätzlich in einen Raum des Dialogs (reziproke Sinnbestätigung bzw. Aufrechterhaltung des Sinns) eingebettet zu denken, der ihre verborgene Grundlage darstellt (vgl. Jantzen 2001 a, b, c).
Dies gilt, wie unsere Arbeiten zeigen, ebenso im schulischen wie im außerschulischen Bereich. Ich verweise hier exemplarisch auf unsere frühen Forschungen im Bereich der Integration auch sehr schwer behinderter Kinder im Vorschulbereich Anfang der 80er Jahre (Feuser 1984, Seidler 1992), im Schulbereich (Feuser und Meyer 1987), sowie im Bereich der Enthospitalisierung und Deinstitutionalisierung (Jantzen 1999, Feuser 2001, 2002).[12]
Um derartige Orte von Dialog, Kooperation und Kommunikation zu sichern, bedarf es spezifische Kompetenzen der PädagogInnen, den Sinn in den Tätigkeiten und Handlungen Ihrer SchülerInnen wahrnehmen und anerkennen. Eine Konzeption, die diesen Weg unterstützen kann, haben wir mit dem Konzept der rehistorisierenden Diagnostik entwickelt. Auszugehen ist von dem Tatbestand, daß das Verhalten jedes Kindes, causa sui, aus eigener Ursache betrachtet, sinnvoll und systemhaft ist. Unter den Bedingungen des Lebens – insbesondere unter den Bedingungen der sozialen und kulturellen Isolation entsteht jene massenhafte Deformation und „Verkrüppelung“ (Sève 1973) als Ausnahme, die der Erklärung bedarf. Welches sind die spezifischen Formen und Quellen der Isolation, und wie wird der Ausdruck dieser Isolation in sinnvollen Konstruktionen des Individuums, die aber sehr wohl die Umwelt aufs schwerste belasten oder ihr unverständlich bleiben können (Verhaltensstörungen jeglicher Art), von dieser Umwelt aufgenommen und behandelt?
In der Regel gilt: je größer die Einschränkung und der Bedarf nach solidarischer Unterstützung, desto massiver die Ausgrenzungsmechanismen in den jeweiligen sozialen Feldern. Die Regelverstöße von Medizinern in der Aufklärung von Eltern über mögliche Folgen medizinisch diagnostizierter Defekte sind Legion (vgl. hierzu auch Ziemen 2002), aber auch die PädagogInnen konstruieren ständig und aufs neue Wirklichkeiten, innerhalb derer die Fähigkeiten eines Kindes auf das reduziert werden, was ein Kind schon kann, nicht aber jener Raum eröffnet wird, der durch Kooperation und soziale Anerkennung als „Zone der nächsten Entwicklung“. Hinter dem scheinbaren Wirken bloßer Natur verbirgt sich die Ausübung von pädagogischer, medizinsicher sozialer Gewalt in spezifischen Feldern und im Feld der Macht als verborgner Kern der Konstruktion von Behinderung, denn so Hannah Arendt (1970): sich in einer „Vernunftfalle“ nicht aggressiv zu verhalten widerspricht den Regeln der Vernunft (vgl. Jantzen 2001d).
Die diagnostische Dechiffrierung von scheinbar unvernünftigem Verhalten als sinnvolle und systemhafte Tätigkeit in einer Konstellation sozialer Isolation und in „Vernunftfallen“, eröffnet den Weg zu einem systematischen Prozeß des Verstehens (vgl. Jantzen und Lanwer-Koppelin 1996, Jantzen 1999, 2000/2001, Rödler 2002) und damit den Zugang zu pädagogischer und therapeutischer Veränderung. Transformiert man das Gesamt dieser Überlegungen in das Nachdenken über allgemeine Erziehungswissenschaft, so finden sie sich in elementarer Form in der folgenden Abbildung wieder, die - bezogen auf ein mögliches Kerncurriculum Erziehungswissenschaft[13] - Grunddimensionen des inneren Zusammenhangs von Lernen, Entwicklung und pädagogischem Prozeß thematisiert.
Als Zusammenfassung steht sie am Ende meiner Erörterungen und gibt zugleich Ausblick auf das, was in einer künftigen Allgemeinen Erziehungswissenschaft zentrale Fragen unserer Reflexion zu sein hätten,[14]
Soziales (S), Gemeinwesen, Gesellschaft |
Vermittlung zwischen S u. PSoziale
Entwicklungssituation „Zone der
nächsten Entwicklung“ (ZdnE) |
Persönliches (P), Individuelles, Subjektives (* |
|
Ausgangspunkt: Erleben Die ZdnE ist der Spezialfall einer Semiosphäre |
|
Ebene 1: Lernen bedeutet herauszufinden, daß dies und jenes verboten ist[15]. Alles andere ist erlaubt. Erlaubt ist, was die Logik des Gegenstandes gestattet. Was ist die Logik eines Gegenstandes? ® Structure of discipline ® Invariante Struktur (Talysina). Ebene 2 und 3:Gemeinschaftliche und gesellschaftliche (historische Bestimmtheit) der Logik der Gegenstände |
Ebene 1: Intersubjektivität - Die Bedeutung von Anerkennung (Dialog), Kooperation, Orientierung und Experiment; - Ebenen des Vermittlungsprozesses (Wahrnehmen, Handeln, Sprechen, Denken) Ebene 2: Gemeinschaftliche Bestimmtheit: Felder (Bourdieu) bzw. Systeme (Luhmann) des sozialen Austausches (z.B. „pädagogisches Feld“); Ebene 3: Gesellschaftliche Bestimmtheit (Ökonomie, „Feld der Macht“; Zuerkennung „symbolischen Kapitals“) |
Ebene 1: Entwicklungslogik
(z.B. Piagets Theorie und ihre Weiterentwicklung und Kritik), Sinn und Bedeutungen, Affekt und
Intellekt in der Entwicklung der Persönlichkeit Ebene 2 und 3Habitus und Reflexion entsprechend der Zugehörigkeit zu sozialen Felder, Kultur usw. , Inkorporation von Ökonomie und Stellung im Feld der Macht usw. |
*) Das notwendige Reflexionswissen der PädagogInnen, die Möglichkeit, Prozesse der Gegenübertragung zu bearbeiten etc.. sind wesentliche Bestandteile der asymmetrischen pädagogischen Situation.
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philosophische Grundlagen einer materialistischen Ethik, Weiterentwicklung der kulturhistorischen Psychologie/ Tätigkeitstheorie in den Traditionen von Vygotskij, Leont’ev und Lurija.
[1] Wir hatte damals beide kurz vorher Mittelbau-Stellen an diesem Institut angetreten, das ich 1974 verließ, um einen Ruf an die Universität Bremen anzunehmen
[2] Vortrag bei der 12. Arbeitstagung der Dozenten für Sonderpädagogik am 17 u. 18.10. 1975 in Reutlingen.
[3] Zum Verhältnis von Allgemeinem, Besonderen und Einzelnem in diesem Prozeß vgl. auch Jödecke 2002
[4] Also 48 Jahre nach dem Tod von Vygotskij (!)
[5] Vygotskij bemerkt (1985a, S. 254): „ich möchte an der
ganze Methode von Marx lernen, wie man Wissenschaft macht“. Entsprechend versuche
ich unter Rückgriff auf Vygotskij zu begreifen, wie eine interdisziplinäre synthetische
Humanwissenschaft gedacht werden kann (was etwas gänzlich anderes ist, als die
von Wessel in der Endphase der DDR und danach eklektisch zusammengefügte
„Biosoziale Einheit Mensch“ als humanwissenschaftlichen Bezugspunkt zu setzen;
vgl. auch Brenner 2002).
[6] vgl. auch Vygotskij 1972, S. 266 ff.
[7] Vgl. zu diesem Übergang die 1930 entstandene Arbeit „Die psychischen Systeme“ (Vygotskij 1985b).
[8] Diese beginnt sie unterdessen in wichtigen Dimensionen, u.a. auch in methodologischem Rückbezug auf Lurija zu entwickeln; vgl. Schore 1995 bzw. die Zeitschrift „Neuropsychoanalysis“.
[9] Lurijas Theorie geht - aus historischen Gründen des Entwicklungsstandes der Neuropsychologie - nicht auf die zahlreichen subkortikalen Prozesse ein, welche bei der Genesis geistiger Behinderung eine Rolle spielen: ich hoffe zu dieser Frage in absehbarer Zeit ein in Arbeit befindliches Buch zur „Neuropsychologie geistiger Behinderung“ vorzulegen.
[10] Vgl. das internationale Entwicklungsprojekt eines Curriculums zur Verankerung der Integration/Inklusion in der grundständigen LehrerInnenausbildung INTEGER (Integrativer Unterricht behinderter und nicht behinderter Kinder). Verpflichtet der Salamanca-Erklärung der UNESCO von 1994 (UNESCO 1996) sind an seiner Erarbeitung 16 Hochschulen aus 11 europäischen Ländern beteiligt. Die konzeptionellen Grundlagen fußen weitgehend auf Feusers Konzeption des integrativen Unterrichts, dessen Kernstück die entwicklungslogische Didaktik darstellt. URL: <http://integer.pa-linz.ac.at>
[11] Für diesen Aspekt des über die ganzes Lebensgeschichte sich entwickelnden psychischen Raumes hat Leont‘ev (1981) die Kategorie "„Abbild der Welt“ eingeführt; vgl. Stetsenko (1989).
[12] Vgl. zu weiteren Publikationen die Bibliographie der Gesamtwerke von G. Feuser (Lingenauber und Schildmann 2001, S. 31-62, Rödler u.a. 2001, S. 263-282) und W. Jantzen (Feuser und Berger 2002, S. 468-495).
[13] Vorgelegt in einer Arbeitsgruppe „Kerncurriculum Erziehungswissenschaften“ der Universität Bremen, leicht überarbeitete und ergänzte Form.
[14] Vgl. hierzu auch Feuser 1998, 1999.
[15] Entsprechend Spinozas „determinatio est negatio“, positive Bestimmung heißt Ausgrenzung, Negation